Reisebericht #6: Ise Schrein/ 伊勢神宮

Unter dem Kronendach der Alten den eigenen Rhythmus finden

Es war eine Überraschung. Das Rauschen des alten Waldes. Die Schatten unter den Bäumen. Die Moose und Farne.

Die Grenze zu diesem heiligen Ort bildet ein Fluss. Der Isuzu. Alles war alt und älter noch, doch das Flussbett war von Steinen geformt, die von Menschen gelegt wurden. Das Wasser nährt und schützt, bringt Leben und reinigt. Als ich diesen Fluss sah, verspürte ich Sehnsucht danach, dass alle Flüsse so sein sollten.

Die Pilgerreise nach Ise wird heute jährlich von mehr als 10 Millionen Menschen unternommen. Schon vor 300 Jahren machten sich mehr als 3 Millionen Pilger auf den Weg, um den Schrein der Sonnengöttin Amaterasu zu besuchen. Die vor mehr als 2000 Jahren errichteten Schreingebäude werden alle 20 Jahre mit der gleichen Methode wiederaufgebaut. Es werden keine Nägel und keine Farben verwendet. Alles ist aus Holz gefertigt. Während ein Schrein steht, wachsen die Bäume für den nächsten Schrein in einem dafür ausgewiesenen Teil des Waldes. Ein Besuch in Ise bedeutet, Zeuge einer lebendigen Tradition zu werden.

Das Wasser des Isuzu-Flusses
Das Wasser des Isuzu-Flusses

Meine eigene Pilgerreise soll ein Verständnis für die Verbindungen schaffen, die wir mit dem Wasser haben: das Meer, die Flüsse, die Kanäle, die Flussmündungen, die Wasserfälle, die heiligen Seen, die banalen Teiche, die Aquascapes und die Straßenaquarien. Das Leben, das in ihnen existiert, unsere Entfremdung von ihren Strömen und die Einsamkeit, die dies in uns auslöst. Diese Wochen bringen mich an Orte und auf Gedanken, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Die flackernden Spiegelungen fließender Welten, die von der Stille der Fische widerhallen, die Seetangwälder, in denen Meer und Land aufeinandertreffen, die silbernen Schuppen, die auf Fischerbooten zurückbleiben, und die Begegnungen mit Abalonen in Höhlen unter der Wasseroberfläche. Irgendwo, in einem Fluss in den Bergen, wartet ein uralter Salamander darauf, dass all dies vorübergeht.

Dieser Schrein von Ise, das Wasser des Isuzu-Flusses. Manchmal weiß ich nicht, welche anderen Wege meine kreuzen werden. An diesem Abend las ich über den Tintenfischfang und die Industrie, die hinter den Meerestieren steht, die wir konsumieren. Die schwarze Nacht um eine Flotte von Booten. Wie die Träume der Fischer eins werden mit dem letzten durchsichtigen Schimmer des Tintenfisches, den sie aus dem Wasser ziehen. Das Zischen des letzten Ausatmens des Tintenfisches. Dann wieder Nacht.

Link zu Squid Fleet: https://www.newyorker.com/culture/the-new-yorker-documentary/squid-fleet-takes-you-into-the-opaque-world-of-chinese-fishing

Film: www.youtube.com/watch?v=I4ozyeFZImk

 

 

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Bildquellen

  • Travelogue#6 Bild1: Michaela Vieser